Zu meinen drei neuen Stücken (2007)
Claus Kühnl
KORONA
(2007) für Klavier zu vier Händen ist eine Gelegenheitsarbeit
für den C. F. Peters Verlag und soll in einem Sammelband
demnächst erscheinen. Der Titel rührt von dem lateinischen
Wort „Kranz“, womit der weiße Strahlenkranz der
Sonne, sichtbar bei totaler Sonnenfinsternis, gemeint sein könnte.
Auch die Bedeutung von „Heiligenschein“ wäre nicht
abwegig: als musikalischen Bezugspunkt verweise ich auf die
gleißende Harmonik, deren mikrotonale Strategien
(Kombinations-Töne gewisser Primärintervalle) auf die
zwölf temperierten Töne zurückgebogen wurden. Daher der
Untertitel Chromatische Studie. Falls jemand beim Titel
„Korona“ an die gleichnamige russische Biersorte mit ihrem
malzig-süßen Antrunk denken sollte, hätte ich auch
nichts dagegen: man beachte den starken „Geschmack“ der
Klänge!
Die zwei folgenden Gesänge komponierte ich auf Wunsch von Edmund
Brownless. In den Ende 2006 entstandenen Zwei Stücken für
Tenor und einen Pianisten habe ich Gedichte aus Europa und Asien
nebeneinander gestellt: Das erste Stück Schwarze Perle
ist eine Vertonung des Gedichts „Siehst Du den
Stern…“ von Gottfried Keller und findet sich in der
Abteilung VII seiner Gesammelten Gedichte („Sonnwende und
Entsagen“). Für das zweite Stück Drachenschnur
habe ich drei Kurzgedichte von Ishikawa Takuboku, die zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in japanischer Sprache geschrieben wurden, dem Insel-Band
„Trauriges Spielzeug“ entnommen.
Der Text für meinen Cantus Mysticus
vom Dezember 2007 verdankt sich einem eigenartigen Zufall: im
Zusammenhang meiner Studien über den ägyptischen Einfluss auf
die Orphische Religion der griechischen Antike blätterte ich im
Latein-Wörterbuch und meine Augen fielen auf den Götternamen
Osiris… Wenn man, beginnend mit dem Wortstamm Os Wort für
Wort weiter liest bis Osiris, ergibt sich ein erregender Zusammenhang!
Ausgelöst durch intensive Meditationen über das Ewige, das
zentrale Thema schon in Schwarze Perle, musste ich nur noch die Worte
nigra (schwarz) und Isis, die Schwester und Geliebte des (von seinem
neidischen Bruder Seth zerstückelten) Osiris hinzufügen,
sowie das mehrdeutige Os an geeigneter Stelle wiederholen. Eine
mögliche Übersetzung ins Deutsche in Form eines Lutrophoros
(das ist eine antike Vase für Kulthandlungen) lautet:
Isis: Mund, Öffnung!
Isis: das Beginnen; Worte!
schwarze Isis:
Ursprung!
Reis,
Weissagevogel,
Bacchus-Bildchen,
schlaflos, schläfrig:
das Gähnen!
Bewege den Mund:
das Küssen,
zärtlich Lieben…
Dein Mündchen:
Frechheit,
Dein Osiris